Die alten weißen Frauen der Kultur

Die alten weißen Frauen der Kultur hassen Männer, sind aber mit welchen verheiratet; diese sind nicht unbedingt weiß, aber immer Patriarchen mit feministischem Anstrich. Der Ehemann der alten weißen Frau der Kultur ist ein großer Emanzipator, er unterstützt seine Frau und betont bei jeder Gelegenheit ihre Unabhängigkeit und sein Sexismus ist so subtil, dass Außenstehende sich oft einreden, ihn nur missverstanden zu haben.

Die alten weißen Frauen der Kultur treffen sich manchmal gemeinsam mit ihren Männern und dann sind es die Männer, die den alten weißen Frauen der Kultur eine Daseinsberechtigung geben durch ihre Anerkennung, sie dürfen ja fast alles sagen, das machen die Männer deutlich, indem sie sie dafür loben, und wenn sie sie im Zaum halten wollen, zeigen sie durch kleine, kalte Gesten ihre Abschätzung, ihre Missbilligung. Die alten weißen Frauen der Kultur schweigen; wissend, dass sich nichts ändern lässt und ihre Männer ihren Unmut nicht verstehen werden. Aber es ist nicht ganz so schlimm, denn die Männer der alten weißen Frauen der Kultur sind nicht ganz so schlimm wie die meisten Männer.

Die alten weißen Frauen der Kultur haben Angst vor der Lesbifizierung; sie denken, Medien und Gruppenzwang drängen junge Mädchen dazu, eine beinahe romantische Beziehung zu ihren Freundinnen zu pflegen. Sie sind empört oder angeekelt, wenn sie Körperlichkeit zwischen jungen Frauen beobachten, die sie zwingend für unecht halten. Die alten weißen Frauen der Kultur wollen ihren schwulen Freunden, die sie als Alibi für ihre Toleranz gebrauchen, sagen: „Je älter ich werde, desto menschenfeindlicher werde ich“, und sagen stattdessen: „desto homophober“. Das hat nichts mit Freud zu tun; die alten weißen Frauen der Kultur haben einfach aus dem Lateinischen abgeleitet statt aus dem Griechischen.

Die alten weißen Frauen der Kultur sind schnell beschämt und ist ihnen etwas peinlich, werden entweder halbweinerliche Geständnisse abgelegt oder sie werden giftig. Denn die alten weißen Frauen der Kultur möchten keine Fehler machen. Die alten weißen Frauen der Kultur sind gut darin, spitze Bemerkungen fallen zu lassen und hervorzuheben, was sie alles gleichzeitig machen, was sie alles gleichzeitig können; unberührbar schweben sie auf einer goldenen Wolke, aus der goldene, stechende Blitze schießen.

Die alten weißen Frauen der Kultur sind gut betucht und wollen es gleichzeitig nicht wahrhaben und wollen auch nicht, dass andere das sehen. Die alten weißen Frauen der Kultur haben jeden Bezug zur Realität derer verloren, die nicht denselben Status haben wie sie. Die alten weißen Frauen der Kultur reden, als ob alles, was sie tun und haben, für jede:n möglich wäre. Die alten weißen Frauen der Kultur haben sich das alles erarbeitet, sie haben sich das alles verdient, Erbschaften oder das Einkommen ihrer Männer haben selbstverständlich keine Rolle gespielt.

Die alten weißen Frauen der Kultur wollten keine Kinder, haben sich aber von ihren Männern, die sich selbst ein Denkmal setzen und sich unsterblich machen wollten, dazu bequatschen, sanft erpressen, unter liebevollen Druck setzen lassen. Die alten weißen Frauen der Kultur reden sich ein, dass ja immerhin alles nach Verabredung lief, nur ein Kind, und der Partner hat seinen Teil der Abmachung gehalten und sich mindestens zur Hälfte um die Erziehung gekümmert. Die alten weißen Frauen der Kultur stecken viel zurück zugunsten ihrer Männer und Kinder, und diese merken es nicht einmal.

Die alten weißen Frauen der Kultur haben Söhne, die sie feministisch erziehen wollten, aber die den Egoismus der Väter und die Misogynie der Gesellschaft tief in sich aufgesogen haben, wiewohl sie sich als bildungsbürgerliche Sprösslinge für immun gegen jeden Einfluss halten, dem sie doch so offensichtlich erliegen, in Gedanken, Worten und Werken, bei Influencern, Imageboards und Gruppenchats. Die alten weißen Frauen der Kultur wissen nicht, was ihre Söhne für frauenfeindliches Gedankengut unter dem Mantel der Kritik bejubeln und sie wollen nicht wahrhaben, dass ihre Söhne eigentlich narzisstische Unterdrücker sind. Sonst müssten sie die bittere Erkenntnis treffen, dass sie sich mit ihren Männern auf ebensolche manipulativ geschickte Exemplare eingelassen haben. Diesen lassen die alten weißen Frauen der Kultur das letzte Wort, weil sie müde sind. Aber in ihrem Innern, da sind sie ganz bei sich.

Die alten weißen Frauen der Kultur verteidigen eine Menge stereotypischer misogyner Anfeindungen mit dem Wunsch, kritisch zu wirken. Sie wollen zeigen, dass sie nicht alles gutheißen, nur weil es von weiblicher Seite kommt oder mit Feminismus in einen Topf geworfen wird, und meinen es manchmal etwas zu gut mit diesem Bestreben. Die alten weißen Frauen der Kultur müssen sich ständig vor Männern unter Beweis stellen. Sie sind nicht wie andere Frauen, sie sind gebildet und sie sind freier und sie wissen genau, mit welchem Kleidungsstil oder welchem Verhalten man sich als Frau versklavt.

Die alten weißen Frauen der Kultur sind sehr rigide in ihrem Weltbild, in ihrem Schwarz-Weiß-Denken und in ihrer blinden Ablehnung all dessen, was ihre unbestrittene Überlegenheit infrage stellt, und sei sie auch nur anatomisch begründet. Die alten weißen Frauen der Kultur schreiben über Djuna Barnes und Gertrude Stein, wollen aber auf keinen Fall, dass das Wort „heteronormativ“ im Klappentext vorkommt, da sie der Meinung sind, es erkläre alle Heteropaare zu Bösewichten. Die alten weißen Frauen der Kultur haben nicht verstanden, was das Wort beschreibt. Die alten weißen Frauen der Kultur wollen auf keinen Fall, dass in ihrem Buch gegendert wird. Die alten weißen Frauen der Kultur schimpfen auf „Identitätspolitik“, dabei verstehen sie jede Anzweiflung des binären Sytems als Angriff auf ihre Weiblichkeit, über die sie sich ausschließlich identifizieren. Die alten weißen Frauen der Kultur wollen einen Orden und ein Krönchen dafür, dass sie eine Gebärmutter haben.

Die alten weißen Frauen der Kultur wollen mich unterstützen. Das kommt mit einem Preis. Die alten weißen Frauen der Kultur wollen, dass ich eine Frau bin, dass ich ihre Tochter bin, dass ich ihnen dankbar bin. Die alten weißen Frauen der Kultur wollen meine Bestätigung, dass sie gut sind, dass sie moralisch einwandfrei sind, dass sie alles richtig gemacht haben. Die alten weißen Frauen der Kultur wollen eine Beichte ablegen. Die alten weißen Frauen der Kultur interessieren sich nicht wirklich für meine Meinung.

Die alten weißen Frauen der Kultur sind so bedürftig und so verletzt. Sie sind mit Frauen strenger als mit Männern. Die alten weißen Frauen der Kultur sind verbittert, weil sie all ihr Leben dafür gekämpft haben, anerkannt zu werden und diese Anerkennung nach wie vor vergeblich von Männern suchen, weil sie sie sich nicht selbst geben können. Die alten weißen Frauen der Kultur sind wütend auf Menschen ohne Gebärmutter, weil sie nie bluten mussten, nie ungewollt schwanger waren, nie Geburtsschmerzen erlebt haben. Wenn nicht mal diese Tapferkeit gewürdigt wird, ist sie umsonst. Die alten weißen Frauen der Kultur wollen den Status Quo erhalten, da ihr Leiden sonst nichts mehr wert ist. Die alten weißen Frauen der Kultur gönnen jüngeren Generationen nicht, mehr Freiheiten zu haben. Die alten weißen Frauen der Kultur wollen nicht sehen, dass Diskriminierung und Gewalterfahrung einen nicht zwingend zum besseren Menschen macht, sondern in vielen Fällen unschöne Spuren hinterlässt: Verhärtung, kompensatorische Hybris, Kontroll- und Herrschsucht, der tiefe Glaube, andere verurteilen und abwerten zu müssen.

Ich verstehe, ihr alten weißen Frauen der Kultur, das Überlebenwollen droht uns zu verbiegen. Ich sehe eure Erschöpfung und eure Wut. Ich sehe eure Leistungen. Ich hasse dieses versöhnliche Pathos. Ich möchte mich nicht euren Erwartungen unterwerfen, noch eurem Blick auf mich. Ich möchte, was von euch in mir steckt, überwinden können, sofern—

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