ich habe das zugfahren wieder für mich entdeckt, bin davor schon ewig nicht mehr damit gefahren, weil ich früher so oft fahren musste, und irgendwann hatte ich genug, aber heute geht es wieder, sogar erstaunlich gut, weil ich erkannt habe, dass ich bei einer fahrt, die rund 2 stunden und 24 minuten dauert, ungefähr 23 mal „gethsemane“ von sleep token hören kann, okay ich gebe zu, so gut bin ich nicht im rechnen, richtig gut war ich darin nie, das mit den sekunden und dass eine minute nur 60 davon hat, das war mir schon immer ungeheuer, weil es sich falsch anfühlt, also bleibe ich einfach beim ungefähr, es ist auf jeden fall öfter als zwanzig mal und ich wüsste nicht, was an einem tag schlecht sein könnte, wenn man dieses lied in dauerschleife hören kann, für eine relativ lange, ungestörte zeit
ich habe erkannt, dass der zug, wenn er bei einem bahnhof hält, irgendwie für mich weiterzufahren scheint, obwohl er zugleich still steht, fühlt sich so an, als würde er irgendwie zurückrollen, als wäre die bremse nicht ganz angezogen, und ich stelle mir vor, wie wir die ganze strecke einfach wieder zurückfahren, ohne, dass jemand eingreift, als wäre das ganz normal, als würde das ständig passieren, und wenn es so wäre, dann hätte ich noch rund 40 minuten mehr, um musik zu hören, falsch, falsch gerechnet (schon wieder!), man muss die strecke ja dann nochmal doppelt rechnen, hin und zurück, also ja, da käme ich vermutlich auf weit über 30 mal, es würde mich nicht stören
wenn ich durch meinen heimatort fahre, wir dort ganz langsam durchrollen, weil der bahnhof schon ganz nah ist, versuche ich verzweifelt, meine wurzeln wieder zu finden, aber ich kann sie nirgends ausmachen, die gebäude, die landschaft, die brücken, die menschen, sogar die bäume, nichts davon ist mir noch bekannt oder gar nah, es sieht alles anders aus, und es ist auch alles anders, ich bin hier aufgewachsen, aber gewachsen bin ich dort, wo ich jetzt lebe, und dort will ich weiterwachsen, dort will ich bleiben, weil sich das wirklich wie ein zuhause anfühlt, immer, wenn ich verreise und wieder zurück komme, kommt es mir ins bewusstsein: der geruch, das gefühl, die farben, die dorfcharakteristik, das grün, der blaue himmel, der hier viel weniger blendet, die geräuschkulisse, und vor allem diese drei menschen in meinem haus, einfach alles hier ist die summe aus einem ort, an dem ich wirklich sein will, an den ich immer wieder zurückkehren möchte, nach dem ich mich sehne, für den ich mich zu hundert prozent entscheiden würde, das heißt schon etwas, denn früher habe ich oft gesagt, dass ich weg will, irgendwohin, wo ich mich zugehörig fühle, wo es sich endlich nach heimat anfühlt und ich dachte immer, den ort würde ich nie finden, den ort gäbe es auf dieser welt nicht, ich habe mich so wahnsinnig entfremdet gefühlt, ich dachte, auf der erde gibt es nicht einen flecken, wo das so sein könnte, kein gebäude, kein fundament, kein mensch, einfach nichts, nichts für mich, ich war überzeugt davon, und ich weinte viel (ich weine immer noch viel), weil ich mich überall fremd (an)fühlte, als wäre ich selbst der fremdkörper, und klar, ich werde mich immer wieder so fühlen, es wird diese phasen wieder geben, ich kann daran arbeiten, aber ich werde nie davon geheilt sein, dafür ist zu viel in die brüche gegangen, mir ist das jetzt bewusst und es ist okay für mich, ich kann inzwischen gut damit leben, vielleicht auch, weil du nicht mehr da bist, wenn es wieder passiert, ich wieder anfange zu erstarren, aus meinem körper austreten zu wollen, weil es sich so anfühlt, als gehöre er mir gar nicht, dann wird kein mensch in meinem leben sein, der meine dissoziation faszinierend findet und mich dazu bringt, weiter und weiter hinter den vorhang zu treten, mehr und mehr zu verschwinden, es wird dann niemanden geben, der meine derealisation vorantreibt, weil sie ihn auf eine seltsame art und weise befriedigt, unsere beziehung war schon immer genau das: ich wollte mehr von dir sehen und du wolltest sehen, wie ich mich auflöse
ich muss nicht auf den ölberg gehen und dreimal um erlösung bitten, eine höhere macht anflehen, mein leiden zu beenden, ich muss nicht sterben, um zu leben, „this throne didn’t come with a gun, so I’ve got a different energy„, meine effektivste waffe ist die tiefgreifende kenntnis meiner narben und dass mein größter feind ich selbst bin, es kann mir nicht mehr nahe gehen, was du tust, nicht sagst, oder was einmal war