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Etwas sagen\
Etwas s\

Gewalt gegen Frauen steigt.
Es gibt viele Gründe, warum Frauen bleiben. Viele sind finanziell abhängig. Andere wissen noch nicht einmal, dass ihnen Gewalt passiert – oder sie relativieren die Situation, geben sich selbst die Schuld.
Die Betroffene braucht Raum, um über ihre Gefühle zu sprechen und die Situation überhaupt erst zu begreifen.*

Ich sage etwas: 
Du steigst. Du steigst in das Auto. Du steigst auf das Gas, auf die Bremse. Du steigst aus, steigst auf den Gehsteig, steigst vor mich, steigst über\ Deine Hände steigen: vom Lenkrad auf meine Brust\ Ich steige: ins Blumenbeet –

Ich relativiere. 

Du steigst nicht. 
Du stampfst und schreist und schießt.
Du stampfst aus dem Auto. Du stampfst auf den Gehsteig. Du stampfst vor mich. 
Du schreist.
Deine Hände schießen vom Lenkrad in die Luft und auf meine Brust. 

Ich steige nicht. 
Ich werde von dir gestoßen. 

Vor meinen engsten Freundinnen weiß meine Therapeutin, dass du handgreiflich geworden bist. Ich sage, handgreiflich. Ich sage nichts vom Stampfen und vom Schreien und vom Schießen. Ich sage: Einmal, da hat er mich… da wurde er handgreiflich. Da hat er mich in ein Blumenbeet geschubst. 

Sie sagt: Wenn ich mich bedroht fühle, rufe ich die Polizei. Sie sagt: Mein Gefühl ist, was zählt. Mein Gefühl ist real. Sie sagt: Wiederholen Sie das. 
Ich sage: Wenn ich mich bedroht fühle, rufe ich die Polizei. 
Sie sagt: Ein öffentlicher Platz ist sicherer. 
Ich denke: Da sehen mich die anderen. 
Sie sagt: Welches Gefühl löst der Gedanke an seine Wohnung bei mir aus? 
Ich sage: Bedrängung. Angst. Erniedrigung. 
Sie sagt: Und der Pavillon im Park?
Scham. 

Den Fleck sehe ich, als ich mich aus meiner Kleidung von gestern schäle und in die Dusche steige. Blau ist er, mit grünen Rändern und violettem Kern. Schnell geht das. 
Ich denke an den halbverdorrten Busch im Beet. Ich denke nicht: an dich. 

Nach meinem Sturz\
Nach meinem Fall\
Nach meinem Unfall\
Nach mei\
Nach d\
Nach deinem\
Nach deinem Stoß\

Nach deinem Stoß redest du auf mich ein –

Korrektur: 

Nach deinem Stoß schreist du auf mich ein. Ich soll einsteigen. Ich sage: Nein. Ich soll einsteigen. Ich sage: Nein. Ich soll einsteigen, oder es ist jetzt wirklich aus. Ich sage nichts und verkrampfe am Beifahrersitz. 

Nach deinem Stoß schreist du im Auto. Vom Auto. Vorm Auto. Vor meinem Wohnhaus. Vor meinen Nachbarn. Vor der Schule. Vor entfernten Bekannten von mir. Vor mir. 
Ich sage: Nicht so laut. Nicht hier. Und irgendwann, da sage ich: Ja. 
Ja, das war nur wegen mir.
Ja, das war nur, weil ich mich dumm verhalten habe. 
Ja, das war nur, weil ich\

Das Wasser wäscht den Fleck nicht ab und ich schaue weg. Die Flecken von den Frauen in den Nachrichten sind größer und dunkler. 

Du sagst: Versprich, dass das nie wieder nötig ist. Dass ich dich nie wieder so aus deiner Gedankenspirale holen muss. Dass du dich vorher wieder einkriegst.  

Schreien, schlagen, stoßen, stampfen, schießen. Verniedlichungsform: schubsen. Meistgebräuchlich: sagen. 

Meine Therapeutin fragt, ob ich mir eine Sicherheitsleine legen möchte. Ich sage ja, und sage es ganz leise. 
Wie könnte diese aussehen? 
Es könnte jemand mithören. 
Welche Sicherheitsmechanismen gibt es noch?
Die Nummer vorgewählt haben. Die anderen Menschen im Park. Meine Stimme, schreiend. 

Was dieser Text nicht\ 
\dass zwischen dem Fleck und dem Ende drei Monate liegen. 
\dass die meisten Flecken nicht sichtbar sind. 
\dass Gewalt mehr als Körper ist. 
\dass es zu sagen, nicht immer der erste Schritt ist. 
\dass der Fleck nur von meiner Haut verschwunden ist. 
\dass ein Fleck mehr als genug ist. 
\dass\
\

Bleib an ihrer Seite.*

* Danke, alexandra_stanic, für deinen Post zum Thema Gewalt gegen Frauen (Instagram). Danke an alle, die da waren. Danke an alle, die bleiben.

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