Die gelbe Tapete
Je voudrais pouvoir décoller les différentes couches de papier peint de ma vie pour retrouver le lé d’origine. (Lisa Balavoine: Èparse, 10).
„confessional“ (…) this pejorative label combines two ideas: that what has been written is not art and that such writing is shameful and too personal (the writer should not have felt or done such things in the first place, and if she had to do such things or feel that way, she certainly should not have told anyone about it). (Joanna Russ, How to Suppress Women’s Writing, 34)
Schreiben ist ein riskantes Geschäft, eine Gefährdung. Man stellt etwas in die Welt, das mit dem eigenen Namen verbunden ist und unkontrolliert von anderen beurteilt wird. Das macht Autor*innen zu Expert*innen für Scham, Expert*innen für die lähmende Angst davor, verletzbar zu werden. Für „the need to avoid pain“ – ein Bedürfnis, eine Not, die, wenn sie auftritt, alles Handeln überlagert. Diese Not zensiert nicht nur, sie formt. Sie sagt dir nicht einfach, was du nicht schreiben sollst; sie sagt dir, wie du schreiben sollst. (Lea Schneider, Scham, 10)
She did, but look what she wrote about. (Joanna Russ, How to Suppress Women’s Writing, 48)
Bill sagt zu Janey, Johnny liebt Sally gar nicht: er benutzt Sally nur, um Janey so tief wie möglich zu verletzen. Johnny ist heftig durchgedreht und Janey sollte ihm besser aus dem Weg gehen.
Janey: Denkst du, er will mich irgendwann wiederhaben?
Bill: Zwischen euch beiden war immer eine wirklich starke Verbindung. Ihr seid seit Jahren zusammen. (Kathy Acker, Bis aufs Blut – Zerfleischt in der Highschool, März, 2022, 17)
When you grow up being told, »that didn’t happen, you didn’t see that«. How do you trust yourself? And that’s the reason I take pictures. The wrong things are kept secret in society. (Nan Goldin, All the beauty and the bloodshed)
There are things in that paper which nobody knows but me, or ever will. Behind that outside pattern the dim shapes get clearer every day. It is always the same shape, only very numerous. And it is like a woman stooping down and creeping about behind that pattern. (Charlotte Perkins Gilman, The yellow wallpaper)
Darum ist jedes Schreiben, das die Welt nicht völlig unverändert lassen will, grundlegend auf Scham angewiesen. Scham signalisiert, wo Gefährdung beginnt, wo sich Ausschlüsse ereignen, wo die Grenzen unseres Mitgefühls und unserer Vorstellungskraft verlaufen – wo also zu ändern, neu zu denken, umzuverteilen ist. Schreiben, wenn es in irgendeiner Form relevant sein soll, braucht die Scham als Kontrastflüssigkeit, als Messinstrument. Als Warnblinker, der einem anzeigt, dass man gerade ein Risiko eingeht – dass man gerade an etwas arbeitet, das nicht gleichgültig ist. (Lea Schneider, Scham, 35)
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